Oktober 2001

GUT RASIERT IST HALB GESCHRIEBEN. EINE NEUE KONZERTSAISON STEHT VOR DER TÜR.

THUN IST UND BLEIBT MITTELMASS UND NACH UNS DIE SINNFLUT. EIN TEXT, GESCHRIEBEN 6 TAGE NACH DEM TAG X

Nach einem wirtschaftlich sehr schlechten Sommer müssen wir nun unsere Kassen schonen und geschickt weitergeschäften. Viel Geld ist via Verträge mit Künstler/innen und Personal zugesichert und Geld machen ist im Moment nicht wirklich einfach. Leistungen, die wir täglich erbringen, werden schlecht honoriert und lassen sich sehr schlecht vermarkten. Die neue Generation der Konsument/innen hat kein Bedürfnis nach Hintergründen, für die ist Mokka und Mc Donalds gleich cool weil: „Mc ist eh cool und im Mogga chame so easy kiffe…“ Eine Konsumentengeneration die mit „free downloading“ aufwächst! Hey easy man! Typisch für diese Stadt und dem darin vorherrschenden und weitverbreiteten Kulturverständnis ist der Samstagabend, 15. September 2001.

Es ist der zweitletzte Abend des Mokka Sommerprogrammes. Angesagt ist die erste Mouthwatering Club Night, eine Produktion aus dem Umfeld der Berner Reitschule. Draussen ist per Zufall einigermassen schönes, und vor allem trockenes Herbstwetter, zwar saumässig kalt, aber es regnet nicht. Mouthwatering ist ein Kollektiv aus Discjockeys und Visualjockeys, das in Bern seit drei Jahren als Megahype gehandelt wird und das den Dachstock der Reitschule,  bei CHF 15.– Eintritt, locker füllt! Aufgebaut werden Laptops, Mischpulte, Videobeamer, Plattenspieler und Projektions-Leinwände, 200m Kabel verbinden das Ganze. Die Mouthwatering Crew besteht aus sieben Personen und bringt Material im Wert von        CHF 30’000.– mit (nur so als Information). Als Attraktionssteigerung haben wir noch eine Mitternachtsshow mit dem Genfer Subtone Trio dazugebucht, frei nach dem Motto: Hey Easy, di Chole schpilemer de scho wider ihne! Das Subtone Trio bringt ein umfangreiches Instrumentarium mit, das in 1 1/2 Stunden aufgebaut ist (Konkret: ein Schlagzeug mit 18 Teilen, ein Vibraphon, eine Gongwand mit 12 Gongs, eine Trompete und Electronik im Wert von CHF 25’000.–). Sie reisen mit fünf Personen und müssen im Hotel übernachten. Dieser Abend kostet uns: CHF 1’600.– Mouthwatering Crew, CHF 1’000.– Subtone Trio, CHF 400.– Hotel, Essen + Trinken für 12 Leute sind ca. CHF 600.–, Plakatieren-Plakate + Flyers kosten locker CHF 250.–, Energie und Anteil an der Hausanlage kann mit CHF 250.– gerechnet werden, ein Tontechniker mit einer Arbeitszeit von 18.00 bis 04.00 Uhr kostet CHF 300.– . Da sind wir locker bei CHF 4’400.–, dazu kommen noch Urheberrechtsgebühren von ca. CHF 200.–. Löhne für Administration, Werbung, Kochen, Betreuung der Künstler und für die nötige Pressearbeit, rechnen wir schon gar nicht mit ein. Um kostendeckend zu arbeiten, bräuchten wir 300 vollzahlende Besucher/innen oder 400-500 mit abgestuftem, billigerem Eintritt. Etwas, was bei einem solch hypen Programm durchaus realistisch sein kann. Um 22.00 ist Türöffnung, im Garten (schönes Dekor + schöne Lichter) ist reger  Betrieb, es ist ca. 12°C kalt! Kein Problem für eine Nation von Eishockeyfans, Motocrossfreunden und Snöbern… Mann hat ja einen Invicta®-Rucksack mit wärmender Alkaholika und ein Duftsäckli für ä guete u tiefe Schlaf dabei. Was braucht es da noch mehr als einen gratis Stuhl und einen Aschenbecher + Müllentsorger vom Mokka? (Hey, für was heit de dir Subventione?)

Für unser Kassenpersonal, das eigentlich zum Einkassieren des Eintrittes da wäre, fängt ein Scheissspiel an. „Was, choschtets Itritt? Chani nume schnäu ine gah luege ob dr Kolleg dinne isch?“ „Was Itritt, iz isch doch dr ganz Summer gratis gsi? Das isch de Schtier! Hey, Kusi hesch ghört, di wei Itritt, chum mir göh i Mac Donald…“ (Und sie ziehen von dannen, im Mundwinkel ein Viertel Duftsäckli, illegal zweckentfremdet, eingerollt in ein staatlich besteuertes, speziell für Kiffer importiertes, überdimensioniertes Zigarettenpapier im Gesamtwert von Fr. 10.–). Die nötigen Infos zum Verstehen des Eintrittssystems von CAFE/BAR MOKKA liefern wir all den Leserinnen und Lesern dieses Programmheftes, die schon mehr als zehn Jahre nicht mehr in unserem Club waren und die trotzdem unser Programm im Kasten wollen, hier und jetzt: Also, die Kasse ist in einem Vorbau, hinten am Haus, im sogenannten Foyer, dort kann Mann/Frau sich gratis aufhalten und Duftsäckli anschauen. Wer auf die Toiletten will, muss an der Kasse ein Depot abgeben, dieses Depot muss einen Wert von mindestens dem Eintrittspreis haben.

Auch Leute, die einmal einen Blick hineinwerfen wollen, oder die jemanden suchen, hinterlegen ein Depot. Dieses System praktizieren wir, seit es uns gibt und das ist grundsätzlich OK. Interessant ist die Art des Depots und dessen Veränderung in all den  Jahren, tiefste soziologische Studien wären damit möglich. War es  bis vor fünf Jahren vor allem Bargeld und Ausweispapiere, ist es heute meistens ein Handy oder eine Kreditkarte (mit einem Kontostand von Fr. 11.35 oder so…)! Die Kassenleute müssen sich ziemlich genau das dazugehörende Gesicht merken und zeitweise müssten sie einen Bauchladen haben, um all die Teile aufbewahren zu können. „D Kasse mache“, heisst also im Mokka nicht in erster Linie Geld einkassieren, sondern viel mehr, sich die Hucke volllabern, sich anficken lassen und sonst alles an Widerlichkeiten, die die Gäste dort hinwerfen, zu ertragen. Scheissjob, der aber jedem angehenden Psychologen sehr zu empfehlen wäre. Also, soweit zu den Hintergrundinformationen.

Wir haben immer noch Samstagabend in der Provinz, es ist 22.30, 15 Leute haben schon Eintritt bezahlt, es konnten schon 80 Depots aufbewahrt werden und das Personal durfte schon 100 blöde Sprüche aufs Konto verbuchen. Bilanz gut! Um 00.30 fangen wir mit dem Konzert von Subtone Trio an. Es hat 15 zahlende Gäste im Raum, plus noch die Crew von Mouthwatering. Das Konzert ist der Hammer, zwei Stunden beste Werbung für Livemusik und zugleich auch eine Manifestierung von generationenübergreifendem Arbeiten. Jean-Claude Geiser ist ein alter, beständiger Jazztrompeter, sein Sohn Daniel ist ca. 24 jährig und arbeitet mit elektronischen Geräten, Bertrand Blessing ist auch 24 Jahre alt und spielt Vibraphon und Schlagzeug wie ein Halbgott, dazu kommt noch ein MC (Master of Ceremonies/Rapper) der die Hälfte des Konzertes mitbestreitet. Nach dem Live-Act, wie man heute einem elektronischen Konzert sagt, spielen die Leute von Mouthwatering noch bis 03.30. Ein schöner Abend ist es, in der Kasse sind Einnahmen von CHF 1’950.–, definitiv zu wenig, um kostendeckend zu arbeiten und nicht gerade motivierend für den Beginn einer  neunmonatigen Konzertsaison, wo jeder Abend mindestens Fr. 2’500.– kostet. Saturday Night in the Province – the Reality!

Die Realität geht in diesem Geschäft, das noch nie eines war – zumindest in der nichtkommerziellen Art wie wir das angehen – immer mehr verloren. Zu viele Idioten tummeln sich in den Büros von Booking-Agenturen, Plattenfirmen, Radiostationen und Zeitungsredaktionen. Alles Leute, die sich nicht wirklich mit der Realität der Musikszene und der vielen Arbeit, die hinter einem Konzert oder hinter einer Tonträgerproduktion steht (all die Leute die halbgratis mitarbeiten, die es erst möglich machen, dass es ein grosses Angebot an Musik gibt, in einem Land, das noch nie einen wirklichen Musikmarkt hatte) befassen. Mit einer gesicherten Gage im Rücken und einer VIP-Einladungskarte am Buffet stehen und ein wenig smalltalken… So easy meine lieben Musikbusiness-Spezies, ist die Szene nicht gemacht und: „Mit Mache isch no nüt gmacht!“ (Zitat Endo Anaconda irgend in einem Zwischendialog am Sonntag, 9. September 2001.) Dazu werden wir neuerdings von den Auswirkungen, die das Internet auf die Arbeitsweise in der Branche hat, voll getroffen. Ungenauigkeit und Minimalismus haben zugenommen. Wo früher ein Telefon reichte, für eine Show „to sign“ abzumachen mit allen Informationen, die es dazu braucht, benötigen wir heute sieben Mails, sprechen 18 Mal auf eine Combox (auf vier verschiedenen Nummern). Dazu müssen wir Fotos und Pressetexte neuerdings ‚selber runterholen’ vom Netz und auf – von uns bezahltem – Fotopapier mit teurem Toner ausdrucken.

Auch hier: Nur steigende Kosten! Dazu kommt auch noch ein Aspekt, den man wenig bedenkt: Brauchte bis vor drei Jahren eine Sekretärin nur Grundkenntnisse für die Handhabung der Geschäftskorrespondenz auf dem Compi, braucht es heute schon fast eine Netzwerkspezialistin, die dazu noch am besten einen Freund hat, der in der Compi-Branche arbeitet und der sie per Handy beraten kann. Ja, die schöne neue Welt! Eigentlich schreibe ich ja das alles nur, um die Aussage zu machen: „Leute, wenn Ihr wirklich Kultur wollt und Ihr in Eurer Stadt auch am Puls der Zeit sein wollt, müsst Ihr bereit sein, dafür zu bezahlen und dazu den Arsch zu bewegen. Denn, wenn es aus naheliegenden Gründen irgendwann keine Spinner mehr gibt, die die Kulturstrapazen auf sich nehmen, dann ist es zu spät. Weil, so etwas wie CAFE/BAR MOKKA ist als kommerzielles Teil nicht machbar! Und: Das wir von der öffentlichen Hand je mehr Geld erhalten werden, ist etwa so wahrscheinlich wie dass das Stockhorn je als Vulkan ausbrechen wird! (Ein schöner Traum unserer Mitarbeiterin Rebecca!)“

Ich muss jetzt noch sagen, dass mir persönlich das Schreiben dieses Textes extrem Mühe gemacht hat. Seit drei Tagen wollte ich schreiben, konnte aber in meiner emotional aufgewühlten Stimmung, nach den furchtbaren Ereignissen in New York, nichts auf das Papier bringen. Seit dem 11. September habe ich so ein mattes Gefühl in mir. Irgendwie irrational. Ich bin nicht ein wirklicher Fan von Amerika und schon gar nicht Fan seiner Politik und dem Farmer-Präsidenten Georg W. Bush, nein! Aber ich war mehrmals in New York und habe mich dort ein wenig in diese Stadt verliebt und mir war es dort immer sehr wohl. Das World Trade Center mit seiner Aussichtsplattform habe ich ein paarmal besucht, die Quartierstrassen rund um das Gebäude waren mir sehr vertraut und die Uhrzeit des Anschlages war eine meiner Lieblingszeiten in diesem Quartier. So zwischen 09.00 und 10.00 Uhr morgens war es dort so etwas von interessant und lebendig, das zog mich richtig an. Als alter Anarchist weiss ich aber auch, dass Amerika in den letzten 30 Jahren für den Tod von hunderttausenden von Menschen auf dieser Welt Mitverantwortung zu tragen hat. Dass Amerika im Golfkrieg Bagdad massiv bombardierte, zigtausende von Leuten, meist Zivilisten, starben und ganze Landstriche toxikologisch verseucht wurden. Da waren einfach keine Fernsehkameras und keine CNN 24 Stunden Katastrophen-Sendungen. Jetzt ist mit New York ein Ort betroffen, den wir alle kennen und wozu ich einen Bezug habe. In der Zeit zwischen dem Schreiben dieses Textes und bis Ihr den Text lesen könnt, ist vielleicht schon vieles falsch gelaufen, haben die Amis schon einen Schlag gegen Teile der islamischen Welt getan, mit verheerenden Auswirkungen auf das Weiterkommen einer neuen, sozial gerechteren und friedlicheren Welt, die wir bitter nötig hätten. Was hier im CAFE/BAR MOKKA im Kleinen möglich ist, ist auch auf dem ganzen Planeten möglich, das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen! Was es braucht, ist ganz einfach:

TOLERANZ + RESPEKT !

Liebe Leserinnen, liebe Leser, es gibt nicht mehr viel mehr zu sagen. Ich hoffe, dass Ihr uns nicht nur bei Züri West und Lunik besucht….

Einen schönen Herbst wünscht Euch Euer

MC ANLIKER

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