Februar 2001

EIN BLICK HINTER DIE KULISSEN DER KULTURBRANCHE. MEHR STRESS ZUM NEUEN JAHR UND KULTUR IST SCHEISSE! DER FEBRUAR MACHT VIELES WAHR!

Hallo, CAFE/BAR MOKKA… ja, guten Tag… nein… ich kam leider noch nicht dazu. Sie müssen sich halt noch ein wenig gedulden… nein, tut mir leid, Ihnen keinen besseren Bescheid geben zu können. Kann ich denn etwas dafür, wenn sie Musikmachen als Hobby gewählt haben? Und sowieso: MUSIK IST SCHEISSE! Dürfte ich Ihnen unsere neuen Kleber schicken, die sind sehr beliebt bei allen Musikern die hier auftreten. Also, dann halt nicht! Ja dann, auf Wiedersehen und noch viel Glück mit Eurer Band! Arschloch, Pisssack! CAFÉ/BAR MOKKA, hallo, ja, der Herr Ammeler, das bin ich. Mein Name ist zwar Anliker… ja, ich bin der Geschäftsführer (sic, sic, sic) aber Börsenpapiere, Anlagefonds und Fondpapiere brauchen wir nicht, nein, wir sind ein Kulturzentrum, nicht gewinnorientiert, eine Art soziale Institution… nein, vergessen Sie’s, adieu! Gahts no, öppe de eis@ohre! Den ganzen Tag läuft diese Versklavungsapparatur und irgendwer will immer etwas, sicher ziemlich unwichtiges, von uns, von 8 Uhr morgens bis 4 Uhr nachts.

Wir Kulturschaffenden haben ja auch nicht wirklich so Easy-Jobs, wie das von aussen gesehen wird. Hey Man, das isch äuä schono geil, so dr ganz Tag chli mit Musig mache, he? Kulturjobs sind mittlerweile knochenhart, weil das Musikgeschäft wirklich immer mehr zu einem reinen Geschäft verkommt. Die Motivation eines heutigen Promotors, der in der Show- oder Eventbranche etwas aufzieht, oder es probiert, ist meistens das Geld: <Jä guede Dag, da isch Pfalzer, von dr Agentur Mango in Allschwil, mir hätted Ihne ä heissi Partyband us dr Region azbiete, si händ iz grad ä Pickwick Pub-Tour in Baselland beändet… (schrei… nei, nei…. neiii!) Überall wird von Kultur als Vermittler, Verbinder und Wirtschaftsfaktor gesprochen und alle Städte und Regionen, die „etwas auf sich haben“ wollen heute mit Events und kulturellen Anlässen, schöner noch das Wort Kulturevent, auftrumpfen. Logisch, dass da Kohle im Spiel ist und zwar nicht wirklich wenig. Wenn Swissonline im Schadaupark den Börsengang präsentiert, (Swissonline goes Public – The Event!)  darf der Event schon mal Fr. 800’000.– kosten – für einen Nachmittag, wohlverstanden! Da wird sogar eine einbetonierte Skulpturengruppe, auf einer Wiese vor dem Schloss, ausgegraben, um Platz für das grosse Zirkuszelt zu schaffen! Kosten scheinen keine Rolle zu spielen. In Zürich erzählte mir vor kurzem ein Veranstalter, der seine Räume zwischendurch für Festanlässe, Essen und Partys vermietet, dass er mit einem Caterer (Verpfleger, der das Ganze, von der Logistik bis zum Personal, inklusive Unterhaltung für die Gäste organisiert) zu tun hatte, der sagt, dass er eigentlich unter Fr. 1’000.– pro Person nichts mehr macht, weil man da sonst einfach zu wenig bieten kann.

Also, so ein Anlass mit Cervelatpromis, von dem wir dann im Sonntagsblick oder in der Schweizer Illustrierten lesen, kostet dann locker mal Fr. 200’000 bis 300‘000.–. In den Genuss kommen sicher immer die gleichen Leute, Eventprofis, die sicher schon entsprechend deformierte Körper haben müssen, von dem ewigen Rumstehen mit dem Glas in der Hand und vom vielen Klatschen, oh, all die vielen Grussbotschaften und die kleinen Ansprachen.

Diese ganze Entwicklung gibt natürlich Druck auf eine ganze Branche, es wird immer mehr spekuliert und jongliert, Relationen werden so verändert, dass vieles plötzlich nicht mehr machbar ist, für finanzschwache Institutionen!

Beispiel 1: Der malische Musiker Boubacar Traoré, der im Mokka jeweils 40 bis 60 zahlende Besucher an seinen Konzerten hatte, kündete seinem CH-Agenten die Zusammenarbeit nach 5 Jahren des Aufbaus, weil er zuwenig Geld erhalte. Sein Landsmann, Ali Farka Touré erhalte pro Konzert in Europa $10’000.–, zuzüglich Spesen, Flüge usw. Nur, der verkaufte locker mal 1 Million Platten, weil er Leute wie Ry Cooder und Bill Laswell als Partner hatte. Traoré verkauft ca. 7’000 Platten, seine Fixgage war immer um ca. Fr. 1’600.– und unser Defizit bei allen 3 Shows lag bei ca. Fr. 1’500.– pro Show. Nun, Boubacar Traoré wird man dann in Zukunft sicher nicht mehr in Thun sehen können.

Beispiel 2: Vienna Scientists, zwei DJ’s aus Wien, spielten im Februar 2000 für eine Gage von ca. Fr. 800.–, nun wollen sie wiederkommen, via ihre Agentur. Gagenforderung DM 2‘500.–, plus Reisekostenanteil, Hotel und Verpflegung… und dies an einem Sonntag, in einem Laden, der nicht einmal Eintritt nimmt. Solche Gagen zahlen die grossen Technoclubs an einem Samstag locker, aber die sind in Zürich, haben Kapazitäten von 2’000 Personen und einen Eintritt von Fr. 25.–! Rechne…

So kommt es, wie es kommen muss… Wir machen immer mehr Büroarbeiten für jeden Anlass, seitenweise Papier, zig Anrufe und Offerten schreiben, Geld bieten. Please send your best offer as soon as possible (abgekürzt p.s.y.b.o.a.s.a.p.), das ist mittlerweile der absolute Standartsatz in der Branche, dann wird noch jede Tour viermal verschoben, wie die Tour mit Laika aus England, die nun wirklich 3 Mal ihre CH-Shows abgesagt haben. Und alles wird so unpersönlich und hektisch.

Das Tempo hat durch das Medium E-Mail rasant zugenommen, Antwort in fünf Minuten erwartet… und genauso kurz, unpräzise und unpersönlich wie das ankommende mail… dear all…

Dazu kommt noch: Alle Mails sehen ziemlich gleich aus, nicht sehr ansprechend, grafisch und typografisch auf ein Minimum reduziert. Bei 8 Mails pro Tag (wenn man sie wie ich ausdruckt) und 40 Mails pro Woche, kommt da eine Menge gleichaussehender Papiere zusammen! Das Ganze ist manchmal sehr verwirrend, weil es auch keine Anhaltspunkte mehr gibt, wie z.B. noch bei den Faxen, wo doch die <Professionellen> zumindest einen Faxkopf oder sonst ein Erkennungszeichen auf dem Papier hatten. Liebe Leute, wundert Euch also nicht, wenn wir in Zukunft eine Band drei bis vier Mal pro Monat auf der Bühne haben. (Büne isch ja de oh gli uf üser Bühni…) weil in dieser Papierwüste kein wirklicher Überblick mehr möglich ist. Und beim Hin- und Herschieben der ganzen Daten eigentlich schon mal Fehler passieren können.

Entschädigt wird man dann natürlich in unserem Job zur Genüge. Durch die Leute, die zwecks Ausübung ihres Berufes aus der ganzen Welt hier in Thun, an der Allmendstrasse, aus Autos und Bussen steigen und unser Haus mit Leben und Tönen füllen und uns immer wieder vor Augen führen, dass es auch anderswo auf der Welt kultiviertes Leben gibt. Leben, das zum Teil lebenswerter sein muss, als unseres, da diese Menschen meist glücklicher wirken, als wir es von uns und, den anderen Einheimischen, gewöhnt sind. Jawohl! Und, das finde ich natürlich nichts als gerecht, weil, irgendwo muss ja auch ein Nehmen sein, bei dem vielen Geben!

Liebe LeserInnen, Ihr seht, wir kochen also auch nur mit Wasser! Keine Hexerei, mehr Fleissarbeit und… dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben. Und, Euch allen kann ich nur raten: sucht Euch einen easy Job, mit viel Freizeit wo Ihr genug verdient, so dass Ihr das Geld in Eurer grosszügigen Freizeit bei uns ausgeben könnt.

Wir lieben Euch!

MC ANLIKER

MASTER OF HEADLESS TORSOS

MASTER OF DRIVE BIKE BY ALL WEATHER

MASTER OF WRITE TEXTES IN A HALF SLEAP

CAFE BAR MOKKA

Allmendstrasse 14 | 3600 Thun
033 222 73 91
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