August 2001

ALTE LIEBE ROSTET NICHT. EIN BRIEF FÜR JEMAND VON DAMALS. GESTERN WAR GEIL,

EIN REMIX.

Lieber Kaspar, Es ist Sonntagnachmittag, draussen drückt die Sommerhitze und lähmt das Hirn, veranlasst die Menschen dazu, in furchtbaren Outfits den kühlen Plätzen am Thunersee oder in den Bergen entgegenzuströmen oder dann in der halbkühlen Wohnung sich mit kühlem Mineralwasser vollzupumpen, was ich im Moment mache. Im CD-Player dreht sich ein Rai-Sampler. Ich finde arabische Musik passt gut zu einer Sommersonntagssiesta! Im Fernseher rollt das Feld der Tour de France geschlossen, auf der letzten Etappe, Paris entgegen. Ton braucht es dazu keinen, die Bilder sprechen für sich, es ist Showtime pur, denn es geht am letzten Tag nur noch darum die Sponsoren gebührend und mediengerecht zu präsentieren. Zugegebenermassen ist ja die Idee ziemlich verrückt, wie ein IV-Rentner am Nachmittag vor dem Fernseher zu sitzen und zuzuschauen, wie die modernen Gladiatoren den <Löwen> vorgeworfen werden. Apropos Gladiatoren… meine Wohnung ist voller Gladiolen, diese wunderschöne, wilde Blume gibt es im Moment in der Stadt auf dem Märit günstig und in grosser Auswahl zu kaufen. Du weisst ja noch, wie wir früher manchmal bekifft auf dem Heimweg auf dem Feld bei der Gärtnerei X noch ein paar dieser Dinger abschnitten. Ich nehme aber an, dass der Konkurs dieser Gärtnerei, vor 10 Jahren, nicht wirklich unseren Selbstbedienungsaktionen zuzuschreiben ist. Dort, wo damals das Feld und die Gärtnerei waren, stehen heute ziemlich hässliche Neunzigerjahre-Häuschen mit sterilen Gärten und Autos davor mit so Sonnenschutzteilen für Kinder und Hunde in der Form von Katzen – ein Phänomen, dass plötzlich alle Autos mit so widerlichen Katzen an den Seitenfenstern rumfahren. Gut, ich nehme an, dass dies nicht wirklich Schweiz/Thun-spezifisch ist.

Der Mensch ist immer mehr so geworden, wie wir uns das immer ausgemalt haben, damals in den Siebzigern, als wir voll auf der psychedelischen Welle (Hesse: Sidhartha / Pink Floyd / Keith Jarett / Santana: Borboletta…) jeweils am See sassen und über die Zukunft spekulierten. Das Schloss, das wir doch immer sprengen wollten (warum eigentlich?) steht immer noch! Dort wird jetzt Open Air-Theater gespielt, wie überall. Das geilste daran ist das Licht, da ist dann plötzlich das Schloss ganz in Blau- oder Rotlicht getüncht. Weisst du noch, wie die beiden Superdrogenfahnder damals in den Büschen des Schlossberges versteckt, auf einen oder mehrere der insgesamt ca. 80 Kiffer in Thun warteten, weil der Schlossberg doch immer unser Kifferberg war. Wenn sie einmal Erfolg hatten, schrieb dann das Thuner Tagblatt darüber, wie die Polizei bei einer Razzia 3 Gramm Haschisch beschlagnahmt hat. Damals, waren das die Könige, diese Schlaffsäcke von Fahndern, die zu 90% Alkis waren und die sowieso mehr beim Faschowirt im Restaurant Turm sassen oder – versteckter – im Casa Barba, die Zeit absoffen, um dann zwischendurch <bei den Drögeler> hart durchzugreifen.

Damals, wurde ich einmal von einem 7-köpfigen Polizeikommando auf einer Baustelle in Uttigen abgeholt. Sie hatten von 6.30 Uhr an gewartet und dann um 7.15 zugeschlagen… schön gewartet, bis wirklich alle Büezer auf dem Set waren (dass es ja alle gesehen haben). Es ging um 30 Gramm Maroc, Beweise gab es keine, die Anklage wurde klammheimlich fallengelassen, damals ging das locker… Der Wirt des Turms ist mittlerweile krank und seine Nachfolger haben den Laden definitiv zu einer Alkoholabgabestelle umgemodelt… und das Casa Barba ging diesen Frühling unerwartet in Konkurs. Einmal im Jahr die Vorhänge waschen reicht als Innovationspotentional – selbst in Thun – heutzutage nicht mehr. Wo Du damals in die Schule gingst, quasi, dort wo Dein Untergang anfing, steht jetzt das Zentrum Aarefeld, ein Megading wo man auf grossstädtisch macht, und am Sonntagmorgen mehr Leute im Fitnesszenter sind, als es Prediggänger in der Stadtkirche hat. Wohlverstanden, die Predigt ist immer noch gratis und das Fitnesszenter ist nicht gerade billig.

Ja, grundsätzlich hat sich sehr, sehr viel geändert hier in dieser kleinen Stadt, in den 16 Jahren, seit Du in diesem Amerika festsitzt, Idiot! Ja. Lieber Kaspar, Deine Heimatstadt ist stellenweise nicht mehr wiederzuerkennen. Viele Spezis sind gestorben, vor kurzem dieser Mann, bei dem wir am Rathausplatz jeweils die fetten Räucherstäbchen gekauft haben oder der Typ im Tabakladen, der doch immer ziemlich einen auf dem Sender hatte und der uns nie glaubte, dass diese langen Zigaretten Papierchen nur für den Drogenkonsum gemacht werden… damals!

Heute ist Thun so etwas wie eine Hauptstatt für Drogen, kollektiver Drogenkonsum ist hier ein richtiges Hobby geworden. <Apérölen> tut Mann/Frau bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und von denen gibt es genügend. Sich, mit Plastikbierbecher in der Hand, gegenseitig auf den Füssen rumstehen, gilt als <hype>, dazu noch mit der freien Hand auf dem Mobilphone SMS-Nachrichten drücken! Zu Hunderten, alle fast gleich aussehend und alles ziemliche Scheisse, wie wir damals sagten. Die Drogenabgabestelle ist jetzt im Gässchen zwischen Restaurant Fulehund (1978: Schnipo = Fr. 12.–) und dem Möbelladen Kornhaus und jetzt sieht man jeweils mittags und abends die dermassen vollgedröhnten Junkies <von dannen plampen>. Heavy. Auch hat es immer mehr jüngere Polytoxikomanen/Innen und auch bei den Secundos ist das Potenzial gross. Dort, wo einst die Stadtmühle stand, ist heute ein Platz mitten in der Stadt, der von Mallorca bis Platzspitz das ganze Drogenspektrum abdeckt. Zwischendurch finden dort Gesundheitstage statt, aber das kaschiert nicht, dass es sich bei diesem Mühleplatz um einen Drogen- und Müllplatz handelt, der dem internationalen Drogenhandel eine gute Absatzmöglichkeit bietet. Polizei gibt es dort nicht mehr, seit die Trachtengruppen an die Allmendstrasse umgezogen sind. Auch haben wir einen Hanfladen in der Haptgasse und eine Spirit-Shop an der Frutigenstrasse, dort wo früher der Kino Scala war. (Weisst Du, dort wo wir die 7 Std. <Woodstock-The Movie>-Version sahen, 1977.)

Diese Hanfläden haben ein heisses System: Vorne ist ein grosser Laden, quasi das erweiterte Schaufenster, dort gibt es Hanfnudeln, Haftextilien, Hanfspielzeuge, Hanfsextoys und Literatur über, was wohl… und dieser Teil ist meistens sehr leer. Hinten ist dann der richtige Hanfkiosk, sehr klein, wo du alle Sorten kaufen kannst, zu Preisen zwischen Fr. 5.– und 18.– das Gramm, nur musst du unterschreiben, dass Du diesen Stoff nur anschaust, stundenlang und nicht als Rauschmittel missbrauchst. Es kann also durchaus passieren, dass ich morgens um 9 Uhr, auf dem Weg ins Café, schon 4 Leute anstehen sehe, beim Spiritshop, der übrigens seit der Eröffnung die gleichen Sachen im Schaufenster hat. Diese Läden machen Superumsätze, das kannst Du mir glauben, mein Lieber. Kiffen ist in dieser Stadt Standard geworden, ich schätze den Marijhuana-Konsum, pro Tag, in Thun auf 2 Kilo, Minimum. Die Kids fangen mit 12 an und haben dann mit 17 bereits schwere THC-Schädigungen im sozialen und psychischen Bereich. Was dieses Gras früher verteufelt wurde, wird es heute verniedlicht und zwar so stark, dass alle das Gefühl haben, dass sie da keine Droge konsumieren, sondern nur kiffen.

Lieber Kaspar, die Tour de France 01 ist in 20 Minuten Geschichte und Du musst jetzt schauen, dass Du aus Deiner Knastzelle kommst und dann dieses Thun wieder einmal besuchen kannst. Dann wirst Du endlich auch einmal unseren Club CAFÉ/BAR MOKKA sehen, der immer schöner und attraktiver wird, 15 Jahre ist das jetzt auch schon her… Ja, damals wäre das auch nicht möglich gewesen. So etwas in Thun? Nein danke!

Es grüsst Dich ganz herzlich, Dein Kumpel von damals!

PÄDU ANLIKER

DER JETZT IN THUN MC ANLIKER HEISST, WAS MEINT:

MASTER OF CEREMONIES VON CAFÉ/BAR MOKKA

 

CAFE BAR MOKKA

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